13. September 2018 Armin Hoyer

Meilenstein des AIT Austrian Institute of Technology in Richtung Verkehrssicherheit für Motorradfahrer

Peter Saleh on MoProVe | Photo: Armin Hoyer - arminonbike.com

AIT Austrian Institute of Technology | Wien – Dem AIT ist es jetzt gelungen gemeinsam mit der TU Wien eine Methode zu entwickeln, Motorradsicherheit objektiv messbar zu machen. Diesen Anlass nutzte ich dazu, DI Peter Saleh, leitenden Verkehrssicherheitsexperten am AIT Center for Mobility Systems, zum Gespräch und aufs Testmotorrad zu bitten…

Das Projekt

Ich hatte DI Peter Saleh im April bei der Transport Research Arena (TRA) 2018 in Wien am Stand des AIT Austrian Institute of Technology kennengelernt. Der Forscher präsentierte im Rahmen der größten, europäischen Verkehrskonferenz dem interessierten Fachpublikum eine zum Messmotorrad umgebaute KTM 1290 Super Adventure. Viereinhalb Monate später konnte das AIT jetzt bekanntgeben, dass ihnen Meilenstein in Richtung Verkehrssicherheit für Motorradfahrer gelungen war.

Das AIT Austrian Institute of Technology rund um Projektleiter DI Klemens Schwieger und dem Leiter des Verkehrssicherheits-Teams DI Peter Saleh, hatte es geschafft, wissenschaftlich zu beweisen, dass Motorradsicherheit objektiv messbar ist. Im Zuge dessen wurde ich letzte Woche von Peter ins AIT eingeladen, um im Rahmen eines Interviews und einer kurzen Testfahrt mehr über das Projekt und das dabei eingesetzte Messmotorrad zu erfahren. MoProVe (Motorcycle Probe Vehicle) wird die umgebaute und mit Messsensoren bestückte KTM von den Forschern genannt.

Verkehrssicherheit messbar machen

Motorradsicherheit war für Peter Saleh schon immer ein wichtiges Anliegen. Er ist vor 13 Jahren in das damals noch „Arsenal Research“ heißende Unternehmen mit dem Willen eingestiegen, aus bereits vorhandenen Daten über Verkehrsinfrastruktur und Unfällen ein mathematisches Risiko-Modell zu erstellen. Damit wollte er zeigen, wie Unfälle entstehen und welche Faktoren der Straße hier einen Einfluss haben. Peter kommt ursprünglich aus dem Bereich Straßen- und Verkehrsplanung. Der gelernte Bauingenieur hat Kulturtechnik und Wasserwirtschaft studiert und ist daher im Straßen- und Verkehrswesen ein Experte.

Zum Thema Motorrad sei er ursprünglich aufgrund seines Hobbies gekommen. Peter ist seit seinem Führerschein mit 18 Jahren leidenschaftlicher Motorradfahrer und hat auch die Schattenseiten bei Stürzen in seinen Anfangsjahren sowohl im Straßenverkehr als auch auf der Rennstrecke kennengelernt. Eine weit verbreitete Meinung sei laut Peter Saleh, dass die hauptsächliche und alleinige Ursache für Motorradunfälle die falsche Wahl der Geschwindigkeit sei.

Forschungsergebnisse haben bewiesen, dass aber auch die Verkehrsinfrastruktur einen eindeutigen Einfluss auf das Unfallgeschehen habe. Dazu zählt zum Beispiel die Beschaffenheit des Straßenbelages in Bezug auf Griffigkeit, Unebenheiten oder unrhythmische Trassierung. Oder auch eine negative Querneigung der Straße einer Kurve habe Einfluss darauf, weil bei einer Neigung nach außen, eine in Bezug auf die Straße wesentlich höhere Schräglage für das Durchfahren dieser erforderlich ist. Ein weiterer Faktor für Unfälle sei manchmal auch die Unerfahrenheit vieler Motorradfahrer und damit das mangelnde Einschätzungsvermögen für das richtige Kurvenfahren, das zu fatalen Unfällen wie z.B. Berührungen mit dem Gegenverkehr führen könne.

Grundsätzlich können Gefahrenstellen natürlich nie ganz beseitigt werden. Das AIT Austrian Institute of Technology ist jedoch jetzt in der Lage anhand die Messfahrten mit dem MoProVe die gravierendsten Mängel aufzuzeigen, damit genau dort Verbesserungen durchgeführt werden können. Unterschiedliche Fahrer, vom gemütlichen Gelegenheitsfahrer, über erfahrene Tourenfahrer bis hin zu Fahrern mit Rennerfahrung haben dazu unterschiedliche Strecken befahren.

„Bei der anschließenden Auswertung der Messergebnisse hat sich gezeigt, dass unabhängig vom jeweiligen Fahrerprofil nahezu immer dieselben Streckenabschnitte als Gefahrenstellen identifiziert werden konnten“, meinte Peter Saleh im Gespräch. Die Unabhängigkeit vom Fahrerprofil mache das Tool sehr aussagekräftig, da das Ergebnis nicht vom jeweiligen Fahrer abhänge. Die Unterschiede der einzelnen Fahrertypen werden in dem Verfahren so lange herausgefiltert, bis eindeutig feststeht, dass eine bestimmte Stelle für jeden Motorradfahrer gefährlich ist.

Die bahnbrechenden neuen Erkenntnisse

Alte Modelle basieren auf Unfalldaten und den damit verbundenen Risikoabschätzungen. Für Peter Saleh sei es aber schon immer interessant gewesen, belegbare Unfallursachen objektiv zu messen und diese dann mit den historischen Unfalldaten abzugleichen. Dies bedeutet, die von unterschiedlichen Fahrern detektierten Gefahrenstellen stimmen auch mit den bekannten Unfallhotspots überein. Dies habe die jetzige Studie bewiesen, da eine eindeutige Übereinstimmung gefunden wurde.

Aufgrund dieser Erkenntnis sei es jetzt im Umkehrschluss möglich, eine Vorausberechnung und damit objektive Vorhersage darüber zu machen, wie groß das Unfallrisiko für Motorradfahrer auf einer bestimmten Strecke sei, ohne die Unfalldaten vorher zu kennen. Somit ist eine Methode entwickelt worden, die Präventivarbeit in der Motorradsicherheit zulässt.

Der Nutzen für die Straßenerhalter

Aus Gesprächen mit Straßenerhaltern weiß Peter Saleh, dass diese nur ein begrenztes Budget für Sanierungen ihrer Straßennetze zur Verfügung haben und dieses daher nach einer strengen Prioritätenliste einzusetzen ist. Regelmäßige Messfahrten mit dem MoProVe können dabei helfen, das Budget möglichst effizient einzusetzen.

Sehr interessant sei das Messmotorrad vom AIT auch für neugebaute oder grundlegend sanierte Strecken, für die es noch keine historischen Unfalldaten gibt. Dem AIT ginge es darum, das MoProVe als Inspektionsfahrzeug in den täglichen Einsatz zu bringen. „Motorradsicherheit ist ab sofort keine Unbekannte mehr, sondern könne berechnet werden. Unsere Dienstleistung sollte daher für Straßenerhalter ein „Must-have“ sein und kann beim AIT als Dienstleistung bezogen werden“, meint Peter Saleh auf meine Frage über den Einsatz der neuen Erkenntnis in der Praxis.

Idealerweise lassen die Straßenerhalter ihr Straßennetz zu Saisonbeginn von Testfahrern befahren, um zu erkennen, ob sich vor allem über den Winter etwas bei der Streckenbeschaffenheit verändert hat. Grobe Trassierungsfehler müssen darüber hinaus auch optisch bewertet werden. Diese sind zum Bespiel dann vorhanden, wenn Kurven nicht wie üblich rhythmisch aneinander gereiht sind.

Das Messmotorrad

Zweiter Teil meines Besuches im AIT war die Besichtigung des MoProVe selbst, welches an diesem Tag vom Projektpartner TU Wien zurückgekommen war. Ein Blick in die beiden Seitenkoffer der KTM 1290 Super Adventure zeigte die geballte Technik des Fahrzeuges. Das blaue Messequipment (VBOX) mit den vielen Anschlüssen ist das AIT Messsystem von Racelogic. Es sammelt auf verschiedenen Kanälen die Fahrdynamik- und Positionierungsdaten. Ein Interface zum CAN-Bus, den serienmäßig im Fahrzeug verbauten Sensoren, ist ebenfalls vorhanden, um auch diese Daten in die Messungen einbeziehen zu können.

Zwei Videokameras ergänzen noch das Mess-Equipment des alles in allem rund 120.000 Euro teuren Messmotorrades. Vor jeder Messung wird das Gesamtsystem kalibriert. Danach werden die Daten auf einen Mess-Laptop überspielt und sofort auf Plausibilität geprüft. Abschließend werden die Daten am Schreibtisch von Wissenschaftlern statistisch und mathematisch analysiert.

Nach der kleinen Runde, die ich zum Abschluss am Werksgelände mit dem MoProVe drehen durfte, war mir sofort klar, dass ich mich für den Job eines Messfahrers für die nächste Saison bestimmt bewerben werde. Wenn ich genommen werde, werdet Ihr selbstverständlich hier darüber erfahren. Bis dann!

Text, Fotos und Videos: Armin Hoyer – arminonbike.com
Foto von Armin Hoyer: DI Peter Saleh – AIT Austrian Institute of Technology GmbH

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